
Game-Changer Blankoverordnung
Der Blankoverordnung wird derzeit nur ein winzig kleines Maß an Liebe entgegengebracht. Die Verhandlungen stocken, inhaltlich dringt nichts nach außen und in der Logopädie wurde jüngst die Schiedsstelle von Verbänden und GKV-SV gebeten, nicht vor Ende 2022 tätig zu werden. Viele Verbandsfunktionäre scheuen sich nicht, das Modell offen abzulehnen und als Hindernis für den Direktzugang zu identifizieren.
Doch ist die Blanko VO wirklich so unsexy?
Nachweis der Wirksamkeit der eigenen Interventionen
Ein Hauptproblem der Therapieberufe ist in Deutschland die fehlende Finanzierung der Versorgungsforschung. Internationale Studien belegen immer häufiger den Nutzen von Therapie, die Ergebnisse werden jedoch häufig direkt von verschiedenen Akteuren negiert oder infrage gestellt, weil ja die Bedingungen in Ausbildung und Versorgungsstrukturen oftmals mit den hiesigen nicht vergleichbar sind. Den Therapeutinnen und Therapeuten in Deutschland fehlen für eigene Forschung die Ressourcen und so bleibt es seit Jahrzehnten dabei, dass der Nutzen der Therapieberufe nicht nur nicht belegt ist, sondern dass in der Folge das Instrument der Heilmittelversorgung immer wieder für Innovationen übersehen wird.
Die Blankoverordnung bietet hier erstmals per Gesetz die Möglichkeit, innerhalb der Regelversorgung großflächig den Nutzen und auch den Mehrwert der Therapie zu belegen. Für Forschende ein Traum, für Bedenkenträger, die vom Nutzen ihrer eigenen Leistung scheinbar nicht überzeugt sind, eher ein Schreckgespenst.
Auswahl der Indikationen
Generell spricht nichts dagegen, alle Indikationen für die Blankoverordnung freizugeben, jedoch ist die gezielte Auswahl von Indikationen für die Evaluierung der Ergebnisse ein weiteres Geschenk für die Leistungserbringer. Der Gesetzgeber schaut hin und sagt: „Hey Leute, zeigt mal, was Ihr könnt!“
Dabei erscheint eine Fokussierung auf Indikationen, bei denen bereits Leitlinien und entsprechende Assessments vorhanden sind, sinnvoll, um mit der Evaluierung auf entsprechend valide Daten zugreifen zu können. Ebenso könnte man sich auf Bereiche konzentrieren, bei denen eher eine Unterversorgung vermutet wird, oder die von kontinuierlicher therapeutischer Versorgung erheblich profitieren könnten. Hierzu zählt der Bereich der seltenen Erkrankungen oder auch LongCovid. Auf den möglichen Nutzen einer Blankoverordnung für die Versorgung von Covid-19 oder LongCovid hatten wir bereits hingewiesen (https://tal-ggmbh.de/analyse-zur-umfrage-von-patienten-nach-covid-19-erkrankung/
Wissenstransfer
Beschränkt man sich bei der Blankoverordnung beispielsweise auf Indikationen für die Leitlinien vorliegen, würde sich die Chance ergeben, durch Information der teilnehmenden Leistungserbringer den Wissenstransfer in die praktische Tätigkeit zu verbessern und TherapeutInnen für evidenzbasiertes Arbeiten großflächig zu begeistern. So könnte die Blankoverordnung auch für eine Verstetigung der Evidenzbasierten Therapie und damit nachhaltig insbesondere im Bereich der Physiotherapie für eine bessere Versorgungsrealität sorgen.
Dauer und Frequenz der Therapie
Ein weiterer Aspekt ist die Möglichkeit für die TherapeutInnen, die Frequenz und die Dauer der einzelnen Behandlungen selbst bestimmen zu können. Tagesaktuell könnte die Intensität der Therapie auf die Bedürfnisse der PatientInnen angepasst werden, wodurch die Möglichkeit entsteht, aus den bisherigen starren therapeutischen Zeitrahmen – die im Übrigen nicht annähernd therapeutisch zu begründen sind – ausbrechen zu können. Hier liegt eine große Chance für mehr Behandlungsqualität und auch für eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Behandelnden.
Die Dauer und Frequenz und damit die Intensität der Therapie individuell an die Bedürfnisse der PatientInnen anpassen zu können, kann bedeuten, täglich zu behandeln, Behandlungspausen einzulegen oder einzelne Termine (dann auch als Videotherapie) evtl. als Coaching zu nutzen.
Hieraus ergeben sich nicht nur für die jeweilige Behandlung Vorteile, sondern auch in der Praxisorganisation würden sich zeitliche Fenster ergeben, die beispielsweise zur Reduzierung der Wartelisten genutzt werden können.
Budgetverantwortung
Als Schreckgespenst malen die Bedenkenträger neben der angeblichen Blockade des Direktzugangs auch die Budgetverantwortung in dunklen Farben an jede Wand.
Faktisch bleibt die Blankoverordnung eine verordnete Leistung. Somit ist ein Globalbudget auch rechtlich gar nicht möglich, denn Auslöser für die Nachfrage der Leistung bleibt die ärztliche Verordnung. Zwar fordert der Gesetzgeber „Maßnahmen zur Vermeidung einer unverhältnismäßigen Mengenausweitung in der Anzahl der Behandlungseinheiten je Versicherten, die medizinisch nicht begründet sind“, diese Maßnahmen gibt es jedoch bereits in Form z. B. der orientierenden Behandlungsmenge. Lediglich die Übertragung in den Vertrag nach § 125a SGB V bleibt hier Aufgabe der Verhandlungspartner. Eine Budgetverantwortung fordert der Gesetzgeber explizit nicht.
Davon abgesehen stellt sich die Frage, ob die Leistungserbringer durch die Erfahrungen aus der Blankoverordnung dann nicht eher Kompetenzen erlernen, die später eine Übernahme von Budgetverantwortung erleichtern, wenn der nächste Schritt in Richtung Direktzugang erfolgt und sich damit ein Globalbudget tatsächlich begründen ließe. Wobei man auch beachten sollte, dass die negativen Auswirkungen einer Budgetierung im ärztlichen Bereich bekannt sind und die politische Diskussion gerade unter einer neuen Bundesregierung eher in Richtung einer Aufhebung der Budgetierung zu erwarten ist.
Fazit:
Entgegen allen Bedenken muss man die Blankoverordnung als große Chance sehen. Man darf nicht vergessen, dass es sich hierbei schon um die Regelversorgung handeln wird. Die Heilmittelerbringenden haben hier die Möglichkeit, ihre Stärken unter Beweis zu stellen und bei der Evaluierung unter Zuhilfenahme von Routinedaten der GKV den Nutzen von Therapie für das Gesamtsystem zu belegen. Eine Budgetverantwortung muss ebenso wenig gefürchtet werden wie die dauerhafte Blockierung des Direktzugangs. Eher werden durch die Blankoverordnung die Grundlagen für den Direktzugang geschaffen. Ebenso besteht die einmalige Möglichkeit, den Wissenstransfer in die praktische Tätigkeit zu verbessern und die Notwendigkeit einer akademischen Ausbildung und des evidenzbasierten Arbeitens zu belegen.
Gelingt den Heilmittelerbringenden und speziell deren Vertretern an dieser Stelle ein wenig visionäres Denken, so wird deutlich: Die Blanko-Verordnung hat das Potenzial, die Versorgungsrealität grundlegend zu ändern und die Wahrnehmung der Therapieberufe als eigenständige Professionen zu untermauern. Damit wäre die Blanko-Verordnung der lang ersehnte Gamechanger in der ambulanten Heilmittelversorgung.
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Blankoverordnung und das Grundgesetz…
… oder das Überschreiten der roten Linie
Das Grundgesetz regelt in Art.12 die freie Ausübung des Berufes. Einschränkungen dieses Rechtes sind nur möglich, wenn sie einem höheren Ziel dienen. So darf z.B. die Tätigkeit eines Metzgers nur geringfügig durch Hygienevorschriften eingeschränkt werden, weil ansonsten gesundheitliche Folgen bei Konsumenten möglich wären. Er darf uneingeschränkt in dafür zugelassenen Räumen seiner Tätigkeit nachgehen.
Gleiches gilt für die Therapie. Therapierende müssen über eine entsprechende Berufszulassung verfügen und dürfen sich dann in entsprechenden Räumen betätigen.
Dieses Recht darf grundsätzlich nicht eingeschränkt werden.
In der Physiotherapie ergibt sich seit Jahren eine schleichende Einschränkung. Die Zertifikate verhindern, dass Therapierende ihren Beruf uneingeschränkt ausüben können.
In der Vergangenheit stieg der Anteil der Zertifiaktspositionen an Verordnungsvolumen kontinuierlich an. Zuletzt auf über 40%. Berufsanfänger:innen können demnach 40% ihres erlernten Berufes nicht ausüben.
In der Vergangenheit hat die Rechtsprechung bei einem Anteil von 21% Zertifikatspositionen von einem gerade noch zulässigen Zustand gesprochen.
Der Grund, warum er bei nunmehr 40% immer noch geduldet wird, liegt in den ausbleibenden Klagen.
Im Zuge der Blankoverordnung planen Verbände und Krankenkassen Zertifikatspositionen als Zugangsvoraussetzung für bestimmte Diagnosen verbindlich vorzuschreiben.
Der Gesetzgeber hingegen spricht von einer neuen Form der Regelversorgung. Diese muss selbstverständlich ohne Hürden sowohl von Patienten als auch von Therapierenden frei zugänglich sein.
Es besteht die Gefahr, dass Ärzte verstärkt auf die Blankoverordnung zurückgreifen und somit einen deutlich höheren Anteil von Therapierenden aus der Versorgung ausschließen, wenn Zertifikate zur Voraussetzung würden.
Im Sinne des Art.12 GG darf die Berufsausübung nicht beschränkt werden, jedenfalls schon mal gar nicht durch Maßnahmen, die ihrerseits nicht frei zugänglich sind. (Kapazität, Geld, Dauer der Fobi und teilweise fehlende Evidenz).
Selbstverständlich wittern hier einige das Geschäft Ihres Lebens, wenn man durch die Hintertür mehr Fortbildungen verkaufen könnte.
Unsere Berufsverbände dürfen das nicht zulassen!
Hier würde eine rote Linie überschritten, die zwangsläufig umfassende juristische Schritte nach sich zögen, die sich gegen Krankenkassen, Berufsverbände und handelnde Personen richteten.