Schriftenreihe: Lösungen für eine verbesserte Patientenversorgung

“94% der befragten Ärztinnen und Ärzte fordern eine Abschaffung der Wirtschaftlichkeitsprüfung”
29. JANUAR 2020
TAL gGmbH
Hartmannsweilerstraße 71, 65933 Frankfurt am Main
Die Hypothesen, die vor der Befragung aufgestellt wurden, werden insgesamt durch die Ergebnisse bestätigt.
- Ärzte und Ärztinnen in der ambulanten Versorgung sind allein durch Berichterstattungen für das Thema Heilmittelregresse sensibilisiert und passen ihr Verordnungsverhalten an, unabhängig ob sie selbst schon von einem Regressverfahren betroffen waren oder nicht. Obwohl nur 16% der Befragten bisher Regresszahlungen leisten mussten, sehen sich 93% der Befragten in ihrem Verordnungsverhalten beeinflusst.
2. Ärzte und Ärztinnen entwickeln unterschiedliche Strategien, um ein Mindestmaß an Regresssicherheit zu erlangen. 40% der Befragten verordnen nach Möglichkeit ein günstigeres Heilmittel, 25% stellen zur Minimierung des Regressrisikos keine Heilmittelverordnungen aus und 38% versuchen die Verordnung auf andere Fachbereiche zu verlagern.
HINTERGRUND
Die Versorgung mit Heilmitteln innerhalb der Gesetzlichen Krankenversicherung umfasst die Leistungsbereiche Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Podologie und Diätassistenz. Dabei gelten diese Leistungsbereiche als veranlasste Leistungen durch die Ärzteschaft, da ohne Verordnung der Zugang zur Leistung innerhalb der Gesetzlichen Krankenversicherung für die Patienten verwehrte bleibt. Unter dem Gesichtspunkt des Wirtschaftlichkeitsgebotes wurden verschiedene Instrumente etabliert, die eine Mengensteuerung im eigentlichen Sinn einer Rationierung ermöglichen sollen. Für die verordnende Ärzteschaft sind die unterschiedlichen Maßnahmen ein Ärgernis und auch nicht immer leicht zu durchschauen. Allein die Begrifflichkeiten wie Richtgrößenprüfung, Durchschnittswerteprüfung, Einzelfallprüfung und Zufälligkeitsprüfungen vermitteln das Gefühl einer wirtschaftlichen Gefahr in Form eines Regresses.
Als grundsätzlicher Handlungsleitfaden gilt die Heilmittelrichtlinie des Gemeinsamens Bundesauschusses (G-BA). Hier werden Indikationen und Leitsymptomatiken spezifiziert und mit Behandlungsmengen und Frequenzen dokumentiert, die per Definition schon eine wirtschaftliche Verordnungsweise unterstellen, wie das Bundessozialgericht in einer Urteilsbegründung 2007 angemerkt hat (Az: B 6 KA 7/06 R). Dennoch lässt sich daraus nicht ableiten, dass eine Verordnung nach Vorgaben der Heilmittelrichtline automatisch einen Schutz vor Regressen bedingt, denn die Richtline definiert nur verbindlich, wie die Versorgung gestaltet werden muss, darüber ob sie überhaupt notwendig ist muss der Arzt entscheiden und ist dafür auch wieder einem Regressrisiko ausgesetzt (Nietz, 2007). […]
Anhand der Daten des GKV- Heilmittelinformationssystems wird deutlich, dass im Zuge des demografischen Wandels der Bedarf an Heilmittelleistung weiterhin zunehmen wird.
Ob es überhaupt ökonomisch sinnvoll ist, einen offensichtlich kleineren Leistungsbereich so streng und aufwändig zu regulieren und mit Mengensteuerungselementen zu versehen, mit dieser Frage hat sich bereits 2009 eine Expertise im Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen befasst. Wörtlich ziehen die Autoren das Fazit:
„Zusammenfassend erzeugen die vorliegenden Daten unter den getroffenen Annahmen – besonders bezüglich des Präventionseffekts – sowohl durch die Kosten-Nutzen-Analyse bei allen Fachbereichen zusammen, als auch durch isolierte Betrachtung der Fachbereiche mit Regresszahlungen, das Ergebnis, dass die bestehende Heilmittel-Richtgrößenprüfung in Hessen unter ökonomischen Aspekten nicht vorteilhaft ist. Diese Erkenntnis spricht dafür, die Richtgrößenprüfung für alle Fachbereiche ersatzlos abzuschaffen.“ (Neubauer, Wick, 2009)
Im Jahr 2009 betrug die Gesamtsumme an Regresszahlungen allein in Hessen 2.2 Millionen Euro. Ein Fall erreichte sogar eine existenzbedrohende Höhe von 400.000 Euro. Auch wenn die absolute Zahl an Ärzten, die von Regressforderungen direkt betroffen sind, prozentual nicht sehr hoch ist, so ist die Verunsicherung innerhalb der Ärzteschaft dennoch nicht zu unterschätzen (Jäger, 2012).

Beispiel aus der Auswertung:

Wirtschaflicher Druck führt bei den verordnenden Ärztinnen und Ärzten zu unterschiedlichen Regressvermeidungsstrategien.
Stimmen der Befragten:
Diese Antworten lassen sich grob in die Kategorien persönliche Belastung, Systemfehler und Auswirkungen auf die Patientenversorgung einteilen. Teilweise berühren die Aussagen auch mehrere Kategorien. Im Folgenden sind beispielhaft einige Aussagen aufgeführt:
- „Die Regressandrohung ist unethisch, menschenverachtend und unerträglich. Die tägliche Arbeit wird extrem erschwert und auf Dauer wird man demotiviert. Man entwickelt ein Vermeidungsverhalten, was sich durch alle Bereiche zieht. In diesem System habe ich Angst, selbst einmal Patient zu sein.“
- „Die Regeln der Heilmittelverordnung sind so komplex, dass ich sie nach 6 Jahren Niederlassung, mehreren Fortbildungen und Beratungen bei der KV immer noch nicht ganz verstanden habe. Ich versuche die Ausstellung zu vermeiden, wo es geht. Bestimmte Maßnahmen, wie z.B. Manuelle Therapie verordne ich grundsätzlich nicht (auch wenn es med. indiziert sein könnte).“
- „Ich kann die Patienten nicht so versorgen, wie ich es glaube, aus medizinischen Gründen tun zu müssen. Die Möglichkeit einen Regress zu erhalten, nimmt Einfluss auf jede meiner Verordnungen. Es ist unerträglich. Wir verordnen nichts zu eigenem Nutzen, ausschließlich zur Patiententherapie, trotzdem haften wir mit unserem Privatvermögen. Das ist so, als wenn man einen Feuerwehrmann mit Regress bedroht, wenn er nach Ansicht der Stadtwerke zu viel Wasser verbraucht. Die Krankenkassen geben mehr Gelder für Werbung aus, als für alle Heilmittel insgesamt. Wer überwacht die Kassen?“
Kostenloser Download:

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Habe ich hier Vorort, nach Praxisschliessung, neue Ärztin. Jahrelange Behandlung bei mir und nun in 2019 einmal eine 3erVerordnung und nun keine weiteren. AOK hatte einen Mitarbeiter in der Praxis der Beratung über Vermeidung von HVO’`s geleistet hat. Nun wurde die Patientin mit einem Formular zur AOK geschickt. Die AOK soll erklären ob HVO ausgestellt werden darf?
Stand heute.
In der Praxis stellt man immer wieder fest, dass Kassenpatienten nur mit Mühe ein Folgerezept bekommen oder überhaupt eines. Auch bei langwierigen Problematiken. Ich versuche die Patienten zu unterstützen, schreibe einen ausführlichen Bericht aus dem die Notwendigkeit weiterer Therapie herauszulesen ist, aber am Ende des Quartals nützt das oft auch nichts. Ich finde es auch wichtig, dass Patienten keine Dauerpatienten werden. Hilfe zur Selbsthilfe. Aber nicht alles ist nach sechs Einheiten austherapiert. An dieser Untersuchung sieht man, dass es nicht damit getan ist sich über die Ärzte und ihr Verhalten keine Verordnungen zu schreiben, aufzuregen, denn die Budgetvorgaben machen es ihnen auch nicht einfach.
Es gibt mittlerweile viele Studien, die zeigen wie effektiv Heilmitteltherapien unter anderem teure Operationen vorbeugen können. Das sollte schon Grund genug sein jedem Patienten der es nötig hat eine Therapie zukommen lassen zu können.
Nun mal ehrlich, das ist doch ein wirklich überholtes, nicht mehr zeitgemäßes Klischee, das die HME darauf aus wären, Patienten aufgrund wirtschaftlicher Erwägungen mit Hilfe von möglicherweise unnötig neu oder wiederholt ausgestellten Heilmittelverordnung längerfristig an die Praxis zu binden. Allein das wird wohl immer noch von den GKV unterstellt, wenn sie die Regresskeule schwingen. Schade eigentlich, dass soviel Misstrauen untereinander herrscht. Letztendlich führt es im beschriebenen Maße dazu, dass Patienten nicht regelgerecht versorgt werden. Angesichts der aufgrund des Fachkräftemangels unvertretbar lange Zeit des Wartens auf eine Therapie sind wir HME im Übrigen mehr denn je daran interessiert, die Patienten mit Hilfe einer effizienten Therapie so schnell wie möglich wieder “auf die Beine zu stellen”. Also, liebe GKV’en vertraut doch darauf, dass die Ärzte ihren Job nach bestem Wissen und Gewissen tun und spart die Kosten der “Wirtschaftlichkeitsprüfungen”.